Die Büchermenschen vom Achensee
„achensee.literatour“ – das ist ein hochkarätiges, junges Literaturformat, das jedes Jahr im Frühjahr in Tirol stattfindet. Heuer bot man Superstars der heimischen Literatur- und Krimiszene auf: Eva Rossmann, Alfred Komarek, Judith W. Taschler, Thomas Glavinic, Thomas Raab und Bernhard Aichner etwa. Ich durfte das Festival moderieren.
Ganz so schlimm kam es dann doch nicht: Es schneite nämlich nicht. Obwohl der Taxifahrer es angekündigt hatte: „Morgen schneit es“, hatte mein Abholer am Bahnhof in Jenbach bedauernd gesagt – und aufgeatmet, als er erfuhr, dass das in meinem Fall nicht ganz so schlimm wäre.
Natürlich hätte ich mich über ein Wochenende – noch dazu Pfingsten – bei Traumfrühlingswetter, Sonnenschein und Badetemperaturen gefreut. Nur: Ich war nicht nach Tirol gekommen, um die wundervolle Region rund um den Achensee zu erleben und zu genießen oder im Karwendel zu wandern, zu biken oder zu klettern – sondern um zu moderieren. Ein Literaturevent. „achensee.literatour“ hieß – und heißt – die Kiste. Und auch wenn da das Zusammenspiel von Landschaft und Text eine zentrale Rolle inne hat: Bei Lesungen, Workshops und Podiumsdiskussionen ist das Wetter draussen, vor der Tür, nicht ganz so wichtig.
„achensee.literatour“ ist ein junges, aber dennoch bereits etabliertes Format. Heuer – vor den Pfingstfeiertagen – fand es zum fünften Mal statt. Und auch wenn Literaturfestivals keine touristischen Mega-Umsatz- oder -Quotenbringer sind, haben derartige Events Signalwirkung: Man positioniert sich damit. Schafft andere, als die von allen anderen auch – und oft ad nauseam oder zumindest bis zur Beliebigkeit abgelutschten – strapazierten Wiedererkennungswerte von idyllischer Traumkulisse mit heilem Heimatdrumherum. Schärft Profil und Image – und wird zur Marke: Ich war noch nie am Aachensee gewesen. Aber ich habe mit Freunden und Bekannten vorher über die Gegend rund um Österreichs größten Bergsee geplaudert: Dass es hier einen hochkarätig besetzten Literaturevent gibt, wussten meine Bekannten – und traumhaft-schön ist es an vielen Orten in den Bergen.
Der Ort. Das Hotel.
Achensee also. Achenkirch. Posthotel. Drei Tage Fünfsterneluxus nach allen Regeln der Kunst. Unterbrochen lediglich von ein paar Moderationen – und zwar von Lesungen von und mit Autoren, die ich alle gute kenne (nicht zuletzt, weil sie in meiner Servus-TV-Sendung „LiteraTOUR“ dereints auch Gäste waren) – und deren Arbeiten ich schätze. Klar muss man sich da einlesen und vorbereiten. Aber: Ich weiß, wieso ich #haettichblossswasanstaendigesgelernt so oft und gerne hashtagge.
Wenn ich jetzt übers Posthotel schreibe, begebe ich mich auf dünnes Eis. Schließlich ist mein (Alltags)-Arbeitgeber mittlerweile die Falkensteiner-Hotelgruppe. Als Angestellter des Unternehmens X über das Mitbewerber-Unternehmen Y zu schreiben hat immer ein bisserl einen komischen Beigeschmack. Andererseits: „Meine“ Gruppe ist in dieser Region nicht präsent – und ein Auge für das, was die Kollegen leisten, hab ich schon: Was das Team um Karl C. Reiter – lange Zeit Österreichs jüngster Direktor eines Fünfsternehotels – da in dem riesigen Wellness-Kreuzer mit eigenem Lipizzanerstall auf die Beine stellt, ist allererste Liga, keine Frage.
Ich rede da gar nicht nur von den „sichtbaren“ Faktoren – also der Qualität des Services, der Sauberkeit von Zimmern, Gastro- und Wellnessbereichen, dem technischen und sonstigen Zustand von jedem Eck, das der Gast sieht oder der Qualität der Küche. Sondern von der Atmosphäre. Von den Menschen: Davon, dass Rezeptions-, Zimmer-, Service-, Küchen- und Wellnescrew professionell und höflich sind, kann man in solchen Hütten blind ausgehen. Aber die Kunst, dem Gast dabei auch auf Augenhöhe, mit Schmäh und ohne Anbiederung, Arschkriecherei oder Schleimerei gegenüber zu treten, trennt die Erstklassigen von den Guten. Und hier funktioniert genau das.
Der Bunker
Auf der anderen Seite ist der Posthof aber einer dieser typischen „Alpenbunker“. Ein Familienbetrieb, der über Jahre größer und größer geworden ist. Und in dem das Rustikale metastasierte, bis es – ich schätze Mitte der 90er-Jahre – an und in seiner alpinen Monsterarchitektur samt Interieur zu ersticken begann.
Nur: Dazu gibt es de facto keinen Plan B. Zumindest keinen, der bezahlbar wäre: Die Finanzpower, mit der ein Sigi Grüner im Ötztal 2010 das alte „Bergland“ innerhalb eines Sommers bis auf die Grundmauern niederriss und zu Beginn der Wintersaison dann ein komplett neues und ultramodernes Haus am Puls der Zeit aufsperrte, hat halt nicht jeder.
Dafür bräuchte es am Achensee nämlich auch jenes Backing einer Mega-Lift-Infrastruktur mit Familienclan-Hintergrund, wie sie in Sölden vom dortigen Lift-Kaiser (und Grüners Schwager) Jack Falkner mit starker Hand gelenkt wird. Doch dass es hier, in Achenkirch, weniger Skizirkus-Bombast als im Ötztal gibt, hat auch gute Seiten. Viele. Etwa die, dass man hier mit achensee.literatour charmant, klein aber umso hochkarätiger in einem ganz anderen Feld punktet.
Polt am Achensee
Und das Posthotel trägt da klimatisch und als Quelle der Inspiration das Seine dazu bei: Er sei sicher, scherzte Alfred Komarek beim Abendessen, dass „irgendwo in den Gängen dieses riesigen Hauses die Skelette von Gästen liegen, die nicht mehr in ihre Zimmer, aber auch nicht mehr zurück, gefunden haben“. Freilich, betonte der Schöpfer des legendären Weinviertler Gendarmen Simon Polt, auch wenn das nach einer lohnenden Geschichte klänge, werde der seinen Ermittler nicht aus der Pension holen, um hier, in den Tiroler Bergen, seinem Versprechen im Ruhestand zu bleiben, untreu zu werden.
Komarek war einer der Stars des achensee.literatour-Eröffnungsabends: Er las aus seinem letzten („dem allerletzen!“) Polt („Alt aber Polt“), erzählte von seiner Taschenuhrsammlung – und lieh jenes viereckige Sammlerstück, das er „regionsbezogen, schließlich sind die Tiroler ein kantiges Volk“ aus Wien mitgebracht hatte, seiner Vor-Vorleserin, Judith W. Taschler. Die Wahl-Innsbruckerin hatte nämlich neben ihrem immer wieder erschütternden „Roman ohne U“ auch Auszüge ihres im September erscheinenden nächsten Werkes „Bleiben“ mitgebracht, aber eben keine Uhr um ihre Vorlesezeit einzuhalten.
Wobei: Das Publikum hätte der Lokalmatadorin auch länger zugehört – und Jessica Lind danach dennoch gefeiert: Die 28-Jährige Niederösterreicherin erhielt das heuer erstmals vergebene „Tyrolia achensee.literatour-Stipendium“: 1500 Euro – plus eine Woche Schreib- und Inspiartionsurlaub am Achensee.
Zum Dank las Lind die in der Nacht zuvor entstandene, reizende aber doch traurige Kurzgeschichte „Krümel“.
Rossmann: Wok & Werk
Tags darauf hielt Eva Rossmann einen ihrer legendären Kochworkshops ab. Zuerst mit Wok und dann mit Werk begeisterte Rossmann in der Hotelküche eine – aus Platzgründen – leider auf 25 oder 30 Köpfe limitierte Zuhörerschaft. Und während die Krimi-Autorin zeigte, was sie in Manfred Buchingers „Alter Schule“ gelernt hat, kam mir Rossmanns Mann, Ernest Hauer, in irgendeinem Hotelgang entgegen – und lachte: „Tolles Hotel – aber ein bisserl was von einem Spukschloss oder einer Grottenbahn hat es schon.“ Dabei waren Rossmann und Hauer noch gar nicht da gewesen, als Komarek geblödelt hatte …
Den Vorteil großer Hotellobbies mit Fauteuil-Landschaften wußte dann aber Clementine Skorpil perfekt zu nutzen: Ihr „Mörderischer Fünfuhrtee“ (begleitet von Akkordeonmusik ihres Mannes Helmut) passte perfekt ins Ambiente – obwohl die größte Gefahr dieses Hotel-Fünf-Uhr-Termins darin lag, dass ich – und ein paar Andere – mich am Kuchenbuffet gnadenlos überaß. Kein Wunder: Beim Sitzen und Zuhören zählt kein Mensch die Kuchenstücke, die sich da vor einem zuerst materialisieren – und dann plötzlich weg sind. Wohin bloß?
Am Abend ging es dann hinaus. Auf den See: Auf – wetterbedingt eher „in der“ – Innsbruck, einem der Ausflugsschiffe auf dem 10 Kilometer langen und bis zu 170 Meter tiefen Achensee (der – das nur nebenbei – deshalb im Winter so gut wie nie zufriert, aber im Sommer auch nie wirklich Kärntner Badeseentemperaturen erreicht) las Thomas Glavinic aus seinem „Jonas Komplex“.
In Seenot mit Thomas Glavinic
Ich mag Glavinic. Als Mensch ebenso wie als Autor. Obwohl er bei Lesungen und bei Interviews alles andere als ein pflegeleichter Gesprächspartner ist. Das Image des „Bad Boy“ der Literaturszene klebt so sehr an ihm , dass er sich ab dem Moment, in dem er sich Publikum gegenüber sieht, in eine Verteidigungsrolle gedrängt fühlt. Und durch schnoddrige Ruppigkeit ein Publikum, das ihn nicht näher kennt, vor den Kopf stößt. So sehr, dass dahinter das, was er zu sagen hat, oft verloren geht.
Oder überhört wird. Etwa seine Abschottung vom so intensiv „verfreundeten“ österreichischen Literaturbetriebs-Klüngel. Oder sein Hadern mit politischen Positionen, die von einem wie ihm quasi eingefordert werden – und die er eventuell gar nicht in der Sache, aber eben doch in der Art, wie sie eingemahnt werden, ablehnt. Ablehnen muss.
Glavinic Art schafft Missverständnisse. Das ist schade. Und am Achensee war es auch noch Pech: Die Schiffsrundfahrt dauerte nämlich gut doppelt so lange, wie Glavinic´ Lesung samt anschließender Diskussion. Und auch wenn ich den Autor besser „erwischt“ oder „abgeholt“ hätte, hätte die Performance nie die volle Schiffsrunde gedauert. Doch angesichts des strömenden Regens und des Windes saß das Publikum danach recht lange im Schiffs-Saal vor einer leeren Bühne. Und nicht nur einer fragte mich, ob das Programm denn wirklich schon vorbei sei.
Alpines Morden: Raab & Aichner
Tags darauf wurde es alpin. Die beiden unangefochtenen Superstars der heimischen Krimiszene baten auf die Alm – und zelebrierten auf der Erfurter Hütte einen umjubelten Pas-de-Deux, der auch dann ein unterhaltsamer Hit gewesen wäre, wenn Bernhard Aichner und Thomas Raab nicht auch privat „best Buddies“ wären: Raabs „Still“ und Aichners „Totenfrau“ überzeugen auch Krimi-Verweigerer. Und ganz abgesehen davon haben sowohl der Wiener als auch der Tiroler Autor das, was vielen ihrer Kollegen im „seriösen“ Literaturbetrieb so schmerzhaft fehlt: Showmanqualitäten, die aber nicht auf Kosten der inhaltlichen Substanz und Tiefe gehen.
Die Hütte war voll. Und platzte aus allen Nähten. Und den Kalauer, dass es auf der Alm zwar vielleicht „ka Sünd´“ aber eben doch den einen oder anderen Mord gibt, spare ich mir. Denn für die kurzen – und besseren – Wuchteln war ein Anderer zuständig: Der Tiroler Autor und Poetry Slammer Stefan Abermann hatte schon während der Auffahrt in der Gondel der Rofanbahn das Publikum mit kurzen Literaturhappen verköstigt – und Lust auf mehr gemacht. Nicht nur von Raab & Aichner auf der Alm – sondern auch unten, im Tal, am See. Nicht jetzt, zu Pfingsten, sondern nächstes Jahr. Da wird es achensee.literatour nämlich wieder geben.
Und nächstes Jahr, sagte Martin Tschoner wird auch das Wetter passen. Es wäre das erste Mal, dass achensee.literatour bei anständigem Frühlinswetter stattfindet, seufzte Tschoner. Ums Literaturpublikum und die Autoren macht sich der Chef des Achensee-Tourismus da aber keine Sorgen: Buchmenschen kommen auch, wenn es hagelt und schneit.
Im Gegensatz zu jener Klientel, von der die Region weniger ihr Image als ihre Umsätze und ihren Wohlstand bezieht: Von den „normalen“ Gästen. Die wollen – nein: müssen – Berge, See und Landschaft nämlich auch sehen, um sie zu spüren. Und das mit vollem Recht.