Jenbach – Wahlkampf ohne Politik. Revisited.
Es geht nicht um die U6. Nicht um die Wiener. Nicht um tatsächliche Gefahren. Sondern um das Gefühl alleingelassen zu sein: Wer sich verlassen fühlt, will Zuspruch. Und folgt dem, der ihn spendet. Egal, welche Botschaft der „Retter“ tatsächlich im Gepäck führt.
In der S-Bahn. In Tirol. Von Jenbach nach Innsbruck. Samstagmittag. Regnerisch und trübe. Kaum bis gar nix los.
Und trotzdem steigen mit den Zugbegleiterinnen auch Securities ein. Und tun gar nicht so, als wären sie nicht beim Kontrollieren der Fahrscheine eindeutig als Geleitschutz des ÖBB-Personals abgestellt.
Und: Ja sie stehen nur bei ganz bestimmten Fahrgästen demonstrativ nahe bei der Schaffnerin. Und ja, das sind genau jene Fahrgäste, über die die Zugsbegleiter danach untereinander reden. „Für wie blöd halten die uns? Dass wir uns Gesichter nicht merken? Und dann wollen sie uns einreden, dass ihnen jemand gesagt hätte, sie müssen zuerst 34 Kilometer in die eine Richtung und dann zurück fahren, um dann nochmal hier einzusteigen … ? „
Und ja, sie reden auch offen über ethnische Merkmale. Und zwar wertfrei. Einfach „matter-of-factly“. Und trotzdem denkst du dir, dass das doch Vorurteile sind. Sein müssen. Und dass Ethnic Profiling zum Kotzen ist.
Und dann geht bei einer der nächsten Haltestelle eine mittelgroße Gruppe Roma auf den Zug zu. Alle Altersgruppen. Aufgeteilt über den ganzen Bahnsteig- Auf mehrere Türen. Und die Zugbegleiter und Securities seufzen einander zu: „Ah, da kommen sie ja…“
Und zu fast jedem in der Gruppe, zu jedem Gesicht, haben sie die eine oder andere Geschichte parat. Auch zu den Kindern. Stichworte. Keine Schimpfworte oder abwertenden Vokabel. Aber auch nichts Positives. Eine triste Aufzählung. Eine referierte, resignative Familienaufstellung.
Die Gruppe
Und dann sieht die Romagruppe die Zugbegleiter und Securities im Zug von Jenbach nach Innsbruck. Und dreht ab. Sofort. Wie ein Mann. Wie auf Kommando: Ein klares Muster. Eine Reaktion, für die es keinen Befehl oder Ruf oder Pfiff braucht.
Und die Zugbegleiter und Securities sehen das. Und nehmen es zur Kenntnis. Ohne Überraschung. „Auch gut. Dann gibt es heute hier also keine Probleme und keine Taschendiebstähle.“ Pause. Ein Fahrgast: „Na dann nehmen sie eben den nächsten Zug.“ Eine Feststellung. Ohne Anklage. Resignativ. Ist halt so.
Und du willst eigentlich was sagen. Über Vorurteile. Und Klischeebilder. Und wie elend das ist. Und du schaust und hörste den Zugbegleitern und Securities kurz zu, wie sie dasitzen und längst über ganz was Anderes reden: Die Kinder. Das Wetter. Die Wehwechen der Alten. Den Dienstplan. Und du merkst: Die sind nicht böse. Die sind nicht infam. Die wollen niemanden niedermachen oder rausschmeissen. Und: Die reden nicht über oder kultivieren gar Vorurteile – sondern plaudern über ihren Alltag. Über das, was sie tagtäglich sehen und erleben. Über Fahrgäste, die sie kennen. Von denen sie wissen, wer sie sind. Wo sie ein- und ausstiegen. Und was sie tun: Die knutschenden oder lauten Schüler. Die ticketlosen Migranten. Die betrunkenen oder übermüdeten Hackler. Die Bettler am Weg in die Stadt. Die Taschendiebe bei der Arbeit.
Keine Antwort
Und du hälst die Klappe. Weil das keine Klischees sind. Nicht in dieser Form und diesem Fall. Das sind keine Vorurteile. Nicht hier. Das ist die Wirklichkeit. Eine Wirklickeit. Jene Wirklichkeit, die die Zugbegleiter und Securities sehen und erleben. Und die durch keine andere Wirklichkeit relativiert wird. Weil eine andere Wirklichkeit hier nicht vorkommt. Sondern nur anderswo. Weit weg.
Und du hörst den Zugebgleitern und Securities deshalb einfach weiter zu. Ihren Gesprächen untereinander. Miteinander. Über das, was sie sehen – und nicht verstehen: „Jeder weiß, wer die sind und was sie tun. Wieso lässt man sie? Wieso kommen sie bis hierher? Und was sollen wir mit ihnen denn machen?“ Und der Fahrgast wiederholt: „Nichts. Sie nehmen den nächsten Zug.“ Schulterzucken.
Und du registrierst: Vorurteile sehen anders aus. Das, was die Zugebgeleiter und Securities sagen, ist nicht böse. Nicht infam. Nicht herzlos. Das sind Erfahrungen. Alltagsbilder. Beobachtungen. Bilder, denen nichts gegenübersteht. Und auch nichts gegenübergestellt wird.
Und du hörst, was da mitschwingt. Die Frustration. Die Traurigkeit. Die Resignation – und dahinter kommt dann die Verbitterung. Und du hast keine Antwort drauf.
Und dann gehen wir wählen.